VR-Panoramafotografie – Die Anfänge

Es war Mitte der Neunzigerjahre im letzten Jahrhundert. Da fing alles an und ich hatte viele Fragen. Die Fotografie wurde plötzlich interaktiv und das Panorama erlebte mit Einführung der »QuickTime VR«-Technologie eine Renaissance auf dem Computerbildschirm. Ich stand nur mit offenem Mund und großen Augen da und wollte wissen, wie das geht. Mein Weg zur Erkenntnis war lang – heute weiss ich, dass ich richtig lag und Virtual Reality uns noch lange beschäftigen wird.
Ich beschäftigte mich damals mit der Produktion multimedialer CD-ROMs und war noch Student im Fachbereich Fotoingenieurwesen. Eines Tages entdeckte ich im fensterlosen Rechnerraum diese bislang nie gesehene, faszinierende Darstellung von 360°-Panoramen am Computer mit vielen smarten Interaktionsmöglichkeiten. Auf dieser Promotion-CD-ROM zeigte Apple in einem kleinen Fenster einen virtuellen Rundgang durch einen Apple-Store. Wir dachten damals, dass sich eine neue Ära der Fotografie anbahnt und wollten das selbst auch produzieren.
Fachbücher zu diesem Thema gab es noch keine, aber glücklicherweise nahmen wir bald an einem Seminar teil, bei dem uns ein begnadeter Mac-Programmierer die Kommandobefehlszeilen zur Panoramaerstellung in der kryptisch anmutenden Apple-MPW-Shell beibrachte. Außerdem hatte der vielseitige Referent bereits eine Multimedia-CD-ROM mit zylindrischen QuickTime-VR-Panoramen von Berlin im damals unglaublich großen Format 640 × 480 Pixel produziert – zu dieser Zeit galt diese Größe als »Vollbilddarstellung«. Mein erster Mac-Computer mit seinem 14-Zoll-Screen hatte genau diese Auflösung.

Die meisten VR-Panoramen werden mit überlappenden Fotos durch Kameradrehung erzeugt
Die meisten VR-Panoramen werden mit überlappenden Fotos („Einzelbilder“) durch Kameradrehung erzeugt.


Bald fotografierten wir stolz einen virtuellen Rundgang durch den Kölner Dom mit zehn verknüpften Panoramen. Natürlich auf 400-ASA-Color-Negativfilm, wegen der flachen Gradation, was für das Ineinanderblenden der digitalisierten Einzelbilder vorteilhaft war. Das Scannen der vielen Einzelbilder dauerte lange, die Nachbearbeitung in Photoshop war mühselig (RAM war noch unsagbar teuer und man geizte hier schon mal – gezwungenermaßen). Das Aneinanderreihen der Einzelbilder (»Stitchen«) mit der QuickTime VR Authoring Tools Suite dauerte nächtelang. Aber die Mühe lohnte sich. Wir waren vom Ergebnis begeistert und wollten nur noch rundum fotografieren.
Die Zeit war damals allerdings noch nicht reif für die breite Akzeptanz von virtuellen Panoramen. Die CD-ROM-User wussten vielfach nicht, wie sie im Panorama navigieren sollten und nahmen zuweilen nur ein Standbild im Viewer-Fenster wahr. Potenzielle Kunden hatten noch keine Vorstellung vom Nutzen interaktiver Panoramen. Der gesamte Produktionsprozess war noch sehr aufwendig und teuer, sowie in der Folge schwer verkäuflich. Leistungsfähige Computertechnik und schnelle Internetverbindungen waren noch immer sehr kostspielig. Alles in allem faszinierte uns als Produzenten die interaktive Darstellung von Räumen, es sollte aber noch einige Jahre dauern, bis die VR-Panoramafotografie eine zweite Renaissance erlebte und die breite Masse der Endanwender erreichte.
Interaktive Panoramen gab es seit den 90-er Jahren nur vereinzelt auf Websites zu sehen, die Fenstergröße war immer sehr bescheiden und wurde dem Medium Panoramafotografie nicht gerecht. Es soll schließlich darum gehen, den Betrachter in das breite Bild hineinzuziehen. Fotografen erreichen dies durch großformatige Fotografien und eine aufwendige Präsentation ihrer Werke in Galerien. Kleine Darstellungsfenster am Bildschirm verderben geradezu den Spaß am Panorama.
Als ich aber 2003 auf die dänische Website www.panoramas.dk von Hans Nyberg stieß, die damals schon ein Jahr existierte und die sogenannten Fullscreen-Panoramen als Kugelpanoramen präsentierte, wurde mir schnell klar, dass die interaktiven VR-Panoramen eine vielversprechende Zukunft haben. Die bildschirmeinnehmenden interaktiven Rundumbilder zogen mich wieder sofort in ihren Bann und wirkten sehr plastisch, nahezu dreidimensional – allein durch ihre Größe und die vielfältigen Interaktionsmöglichkeiten.
Derweil breitete sich die digitale Fotografie überall rasant aus, digitale Spiegelreflexkameras wurden endlich erschwinglich, so dass ich nach einem kurzen analogen Intermezzo begann, mit einer Nikon D70s und dem hervorragenden Nikkor 10,5-mm-Fisheye selbst interaktive Kugelpanoramen zu erstellen – und 360°-Lampenschirmmotive.
Eine ganz andere interaktive Variante der Panoramafotografie – diesmal völlig analog – entstand 2004/05 zusammen mit meinem Designer-Kollegen Dirk Arendt-Maiwald. Wir konzipierten eine Tischleuchte mit einem drehbaren zylindrischen Lampenschirm, in den ein hochqualitatives 360°-Panoramamotiv als belichtetes Display-Dia eingespannt werden kann. Es folgten die Serienproduktion und mehrere Ausstellungen mit den »Rundum-Panoramalampen« sowie ausbelichteten 360°-Panoramafotografien.

Interaktive Panoramen haben sowohl spielerisches als auch erzählerisches Potenzial, das fasziniert. Die VR-Panoramafotografie hat sich mittlerweile als Medium irgendwo zwischen Fotografie und Film etabliert und wird dabei zunehmend bekannter und anerkannt – dank der raschen Verbreitung im Internet und der Renaissance von Virtual Reality.